Die Wahlverwandschaften   ::   Гете Иоганн Вольфганг

Страница: 197 из 199



Aber sie blieb nicht lange allein, denn gleich mit sinkender Nacht, als das schwebende Licht, sein volles Recht ausübend, einen helleren Schein verbreitete, öffnete sich die Türe, und es trat der Architekt in die Kapelle, deren fromm verzierte Wände bei so mildem Schimmer altertümlicher und ahnungsvoller, als er je hätte glauben können, ihm entgegendrangen.

Nanni saß an der einen Seite des Sarges. Sie erkannte ihn gleich; aber schweigend deutete sie auf die verblichene Herrin. Und so stand er auf der andern Seite in jugendlicher Kraft und Anmut, auf sich selbst zurückgewiesen, starr, in sich gekehrt, mit niedergesenkten Armen, gefalteten, mitleidig gerungenen Händen, Haupt und Blick nach der Entseelten hingeneigt.

Schon einmal hatte er so vor Belisar gestanden. Unwillkürlich geriet er jetzt in die gleiche Stellung; und wie natürlich war sie auch diesmal! Auch hier war etwas unschätzbar Würdiges von seiner Höhe herabgestürzt; und wenn dort Tapferkeit, Klugheit, Macht, Rang und Vermögen in einem Manne als unwiederbringlich verloren bedauert wurden, wenn Eigenschaften, die der Nation, dem Fürsten in entscheidenden Momenten unentbehrlich sind, nicht geschätzt, vielmehr verworfen und ausgestoßen worden, so waren hier so viel andere stille Tugenden, von der Natur erst kurz aus ihren gehaltreichen Tiefen hervorgerufen, durch ihre gleichgültige Hand schnell wieder ausgetilgt; seltene, schöne, liebenswürdige Tugenden, deren friedliche Einwirkung die bedürftige Welt zu jeder Zeit mit wonnevollem Genügen umfängt und mit sehnsüchtiger Trauer vermißt. Der Jüngling schwieg, auch das Mädchen eine Zeitlang; als sie ihm aber die Tränen häufig aus dem Auge quellen sah, als er sich im Schmerz ganz aufzulösen schien, sprach sie mit so viel Wahrheit und Kraft, mit so viel Wohlwollen und Sicherheit ihm zu, daß er, über den Fluß ihrer Rede erstaunt, sich zu fassen vermochte, und seine schöne Freundin ihm in einer höhern Region lebend und wirkend vorschwebte. Seine Tränen trockneten, seine Schmerzen linderten sich; kniend nahm er von Ottilien, mit einem herzlichen Händedruck von Nanni Abschied, und noch in der Nacht ritt er vom Orte weg, ohne weiter jemand gesehen zu haben.

Der Wundarzt war die Nacht über, ohne des Mädchens Wissen, in der Kirche geblieben und fand, als er sie des Morgens besuchte, sie heiter und getrosten Mutes. Er war auf mancherlei Verirrungen gefaßt: er dachte schon, sie werde ihm von nächtlichen Unterredungen mit Ottilien und von andern solchen Erscheinungen sprechen; aber sie war natürlich, ruhig und sich völlig selbst bewußt.

|< Пред. 195 196 197 198 199 След. >|

Java книги

Контакты: [email protected]