Der Wanderer und sein Schatten :: Ницше Фридрих
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Nun aber leidet er noch daran, daß er so lange seine Ketten trug, daß es ihm so lange an reiner Luft und freier Bewegung fehlte: — diese Ketten aber sind, ich wiederhole es immer und immer wieder, jene schweren und sinnvollen Irrtümer der moralischen, der religiösen, der metaphysischen Vorstellungen. Erst wenn auch die Ketten-Krankheit überwunden ist, ist das erste große Ziel ganz erreicht: die Abtrennung des Menschen von den Tieren. — Nun stehen wir mitten in unserer Arbeit, die Ketten abzunehmen, und haben dabei die höchste Vorsicht nötig. Nur dem veredelten Menschen darf die Freiheit des Geistes gegeben werden; ihm allein naht die Erleichterung des Lebens und salbt seine Wunden aus; er zuerst darf sagen, daß er um der Freudigkeit willen lebe und um keines weiteren Zieles willen; und in jedem anderen Munde wäre sein Wahlspruch gefährlich: Frieden um mich und ein Wohlgefallen an allen nächsten Dingen. — Bei diesem Wahlspruch für Einzelne gedenkt er eines alten großen und rührenden Wortes, welches allen galt, und das über der gesamten Menschheit stehengeblieben ist, als ein Wahlspruch und Wahrzeichen, an dem jeder zugrunde gehen soll, der damit zu zeitig sein Banner schmückt, — an dem das Christentum zugrunde ging. Noch immer, so scheint es, ist es nicht Zeit , daß es allen Menschen jenen Hirten gleich ergehen dürfe, die den Himmel über sich erhellt sahen und jenes Wort hörten:»Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen an einander.«— Immer noch ist es die Zeit der Einzelnen .
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Der Schatten : Von allem, was du vorgebracht hast, hat mir nichts mehr gefallen als eine Verheißung: ihr wollt wieder gute Nachbarn der nächsten Dinge werden. Dies wird auch uns armen Schatten zugute kommen. Denn, gesteht es nur ein, ihr habt bisher uns allzugern verleumdet.
Der Wanderer : Verleumdet? Aber warum habt ihr euch nie verteidigt? Ihr hattet ja unsere Ohren in der Nähe.
Der Schatten : Es schien uns, als ob wir euch eben zu nahe wären, um von uns selber reden zu dürfen.
Der Wanderer : Delikat! Sehr delikat! Ach, ihr Schatten seid» bessere Menschen «als wir, das merke ich.
Der Schatten : Und doch nanntet ihr uns» zu- dringlich«— uns, die wir mindestens eines gut verstehen: zu schweigen und zu warten — kein Engländer versteht es besser. Es ist wahr, man findet uns sehr, sehr oft in dem Gefolge des Menschen, aber doch nicht in seiner Knechtschaft. Wenn der Mensch das Licht scheut, scheuen wir den Menschen: soweit geht doch unsere Freiheit.
Der Wanderer : Ach, das Licht scheut noch viel öfter den Menschen, und dann verlaßt ihr ihn auch.
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