Der Wanderer und sein Schatten   ::   Ницше Фридрих

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Sondern vermöge des jus talionis wird das Gleichgewicht der gestörten Machtverhältnisse wiederhergestellt: denn ein Auge, ein Arm mehr ist in solchen Urzuständenein Stück Macht, ein Gewicht mehr.  — Innerhalb einer Gemeinde, in der alle sich als gleichgewichtig betrachten, ist gegen Vergehungen, das heißt gegen Durchbrechungen des Prinzips des Gleichgewichts, Schande und Strafe da: Schande, ein Gewicht, eingesetzt gegen den übergreifenden einzelnen, der durch den Übergriff sich Vorteile verschafft hat, durch die Schande nun wieder Nachteile erfährt, die den früheren Vorteil aufheben und überwiegen. Ebenso steht es mit der Strafe: sie stellt gegen das Übergewicht, das sich jeder Verbrecher zuspricht, ein viel größeres Gegengewicht auf, gegen Gewalttat den Kerkerzwang, gegen Diebstahl den Wiederersatz und die Strafsumme. So wird der Frevler erinnert, daß er mit seiner Handlung aus der Gemeinde und deren Moral — Vorteilen ausschied: sie behandelt ihn wie einen Ungleichen, Schwachen, außer ihr Stehenden; deshalb ist Strafe nicht nur Wiedervergeltung, sondern hat ein Mehr, ein Etwas von der Härte des Naturzustandes; an diesen will sie eben erinnern.

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Ob die Anhänger der Lehre vom freien Willen strafen dürfen?  — Die Menschen, welche von Berufswegen richten und strafen, suchen in jedem Falle festzustellen, ob ein Übeltäter überhaupt für seine Tat verantwortlich ist, ob er seine Vernunft anwenden konnte, ob er aus Gründen handelte und nicht unbewußt oder im Zwange. Straft man ihn, so straft man, daß er die schlechteren Gründe den besseren vorzog: welche er also gekannt haben muß. Wo diese Kenntnis fehlt, ist der Mensch nach der herrschenden Ansicht unfrei und nicht verantwortlich: es sei denn, daß seine Unkenntnis, zum Beispiel seine ignorantia legis, die Folge einer absichtlichen Vernachlässigung des Erlernens ist; dann hat er also schon damals, als er nicht lernen wollte was er sollte, die schlechteren Gründe den besseren vorgezogen und muß jetzt die Folge seiner schlechten Wahl büßen. Wenn er dagegen die besseren Gründe nicht gesehen hat, etwa aus Stumpf- und Blödsinn, so pflegt man nicht zu strafen: es hat ihm, wie man sagt, die Wahl gefehlt, er handelte als Tier. Die absichtliche Verleugnung der besseren Vernunft ist jetzt die Voraussetzung, die man beim strafwürdigen Verbrecher macht. Wie kann aber jemand absichtlich unvernünftiger sein, als er sein muß? Woher die Entscheidung, wenn die Wagschalen mit guten und schlechten Motiven belastet sind? Also nicht vom Irrtum, von der Blindheit her, nicht von einem äußeren, auch von keinem inneren Zwange her? (Man erwäge übrigens, daß jeder sogenannte»äußere Zwang «nichts weiter ist, als der innere Zwang der Furcht und des Schmerzes.

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