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So bleibt mir nichts anderes übrig, als zu warten, bis er wiederkommt, einmal, im Juni vielleicht oder Juli, zu warten, hin und wieder zu saufen, oder öfters, je nach Finanzlage, und zu schreiben, die einzige Tätigkeit, die einem nach Strich und Faden ruinierten Rechtsanwalt noch angemessen ist. In einem aber täuscht sich der Kantonsrat: die Zeit wird sein Verbrechen nicht heilen, mein Warten es nicht mildern, meine Betrunkenheit es nicht auslöschen, mein Schreiben es nicht entschuldigen. Indem ich die Wahrheit darstelle, präge ich sie mir ein, befähige ich mich, einmal, im Juni, wie gesagt, oder Juli oder wann auch immer er zurückkehrt (und er wird zurückkehren), bewußt zu tun, ob ich dann betrunken bin oder nüchtern, was ich jetzt nur im Affekt tun wollte. Dieser Bericht ist nicht nur die Begründung, sondern auch die Vorbereitung zu einem Mord. Zu einem gerechten Mord.
Wieder nüchtern in meinem Arbeitszimmer: Die Gerechtigkeit läßt sich nur noch durch ein Verbrechen wiederherstellen. Daß ich daraufhin Selbstmord zu begehen habe, ist unvermeidlich. Ich will mich damit nicht der Verantwortung entziehen, im Gegenteil, nur so ist mein Vorgehen zu verantworten, wenn auch nicht juristisch, so doch menschlich. Im Besitze der Wahrheit, kann ich sie nicht beweisen. Für den entscheidenden Augenblick fehlen mir die Zeugen. Durch meinen Freitod wird es leichterfallen, mir auch ohne Zeugen zu glauben. Ich gehe nicht wie ein Wissenschaftler in den Tod, der sich durch ein Selbstexperiment dem Wissen zuliebe hinrichtet, ich sterbe, weil ich meinen Fall zu Ende denke.
Tatort: er spielt schon früh eine Rolle. Das >Du Théâtre< ist mit seiner Rokokofassade eines der wenigen Renommierstücke unserer hoffnungslos verbauten Stadt. Das Restaurant ist auf drei Etagen untergebracht, was nicht jeder weiß, den meisten sind nur zwei bekannt. Im Erdgeschoß sind an den langen Vormittagen — alles steht in unserer Stadt früh auf — verschlafene Studenten, aber auch Geschäftsleute zu finden, die dann oft über Mittag bleiben, später, nach dem Kaffee Kirsch, wird es still, die Serviertöchter werden unsichtbar, erst gegen vier kehren erschöpfte Lehrer ein, lassen sich müde Beamte nieder. Der Gewalthaufe freilich zieht zum Abendessen auf und dann noch nach halb elf, neben Politikern, Managern und Finanzexistenzen sonstige Vertreter der freien und freiesten Berufe, aber auch leicht erschrockene Fremde, unsere Stadt liebt es, sich international zu geben. Im ersten Stock wendet sich denn auch alles ins Stinkfeine. Das Wort ist passend: In den beiden niedrigen, rot tapezierten Räumen herrscht tropische Hitze, aber dennoch hält man aus, die Damen in Abendkleidern, die Herren oft im Smoking.
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