Der Wanderer und sein Schatten :: Ницше Фридрих
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Hierwollte er einmal eine Vision malen: aber eine solche, wie sie edle junge Männer ohne» Glauben «auch haben dürfen und haben werden, die Vision der zukünftigen Gattin, eines klugen, seelisch-vornehmen, schweigsamen und sehr schönen Weibes, das ihren Erstgeborenen im Arme trägt. Mögen die Alten, die an das Beten und Anbeten gewöhnt sind, hier, gleich dem ehrwürdigen Greise zur Linken, etwas Übermenschliches verehren: wir Jüngeren wollen es, so scheint Raffael uns zuzurufen, mit dem schönen Mädchen zur Rechten halten, welche mit ihrem auffordernden, durchaus nicht devoten Blicke den Betrachtern des Bildes sagt:»Nicht wahr? Diese Mutter und ihr Kind — das ist ein angenehmer einladender Anblick?«Dies Gesicht und dieser Blick strahlt von der Freude in den Gesichtern der Betrachter wieder; der Künstler, der dies alles erfand, genießt sich auf diese Weise selber und gibt seine eigene Freude zur Freude der Kunst-Empfangenden hinzu. — In betreff des» heilandhaften «Ausdrucks im Kopfe eines Kindes hat Raffael, der Ehrliche, der keinen Seelenzustand malen wollte, an dessen Existenz er nicht glaubte, seine gläubigen Betrachter auf eine artige Weise überlistet; er malte jenes Naturspiel, das nicht selten vorkommt, das Männerauge im Kindskopfe, und zwar das Auge des wackeren, hilfereichen Mannes, der einen Notstand sieht. Zu diesem Auge gehört ein Bart; daß dieser fehlt und daß zwei verschiedene Lebensalter hier aus einem Gesichte sprechen, dies ist die angenehme Paradoxie, welche die Gläubigen sich im Sinne ihres Wunderglaubens gedeutet haben: so wie es der Künstler von ihrer Kunst des Deutens und Hineinlegens auch erwarten durfte.
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Das Gebet. — Nur unter zwei Voraussetzungen hatte alles Beten — jene noch nicht völlig erloschene Sitte älterer Zeiten — einen Sinn: es müßte möglich sein, die Gottheit zu bestimmen oder umzustimmen, und der Betende müßte selber am besten wissen, was ihm not tue, was für ihn wahrhaft wünschenswert sei. Beide Voraussetzungen, in allen anderen Religionen angenommen und hergebracht, wurden aber gerade vom Christentum geleugnet; wenn es trotzdem das Gebet beibehielt, bei seinem Glauben an eine allweise und allvorsorgliche Vernunft in Gott, durch welche eben dies Gebet im Grunde sinnlos, ja gotteslästerlich wird, — so zeigte es auch darin wieder seine bewunderungswürdige Schlangen-Klugheit; denn ein klares Gebot» du sollst nicht beten «hätte die Christen durch die Langeweile zum Unchristentum geführt.
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