Der Wanderer und sein Schatten   ::   Ницше Фридрих

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) An jene ersten musikalischen Entzückungen — die stärksten unseres Lebens — knüpft unsere Empfindung an, wenn wir jene italienischen Melismen hören: die Kindes-Seligkeit und der Verlust der Kindheit, das Gefühl des Unwiederbringlichsten als des köstlichsten Besitzes — das rührt dabei die Saiten unsrer Seele an, so stark wie es die reichste und ernsteste Gegenwart der Kunst allein nicht vermag. — Diese Mischung ästhetischer Freude mit einem moralischen Kummer, welche man gemeinhin jetzt» Sentimentalität «zu nennen pflegt, etwas gar zu hoffärtig, wie mir scheint — es ist die Stimmung Faustens am Schlusse der ersten Szene — diese» Sentimentalität «der Hörenden kommt der italienischen Musik zugute, welche sonst die erfahrenen Feinschmecker der Kunst, die reinen»Ästhetiker«, zu ignorieren lieben. — Übrigens wirkt fast jede Musik erst von da an zauberhaft, wo wir aus ihr die Sprache der eigenen Vergangenheit reden hören: und insofern scheint dem Laien alle alte Musik immer besser zu werden, und alle eben geborene nur wenig wert zu sein: denn sie erregt noch keine» Sentimentalität«, welche, wie gesagt, das wesentlichste Glücks-Element der Musik für jeden ist, der nicht rein als Artist sich an dieser Kunst zu freuen vermag.

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Als Freunde der Musik.  — Zuletzt sind und bleiben wir der Musik gut, wie wir dem Mondlicht gut bleiben. Beide wollen ja nicht die Sonne verdrängen, — sie wollen nur, so gut sie es können, unsere Nächte erhellen. Aber nicht wahr? scherzen und lachen dürfen wir trotzdem über sie? Ein wenig wenigstens? Und von Zeit zu Zeit! Über den Mann im Monde! Über das Weib in der Musik!

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Die Kunst in der Zeit der Arbeit.  — Wir haben das Gewissen eines arbeitsamen Zeitalters: dies erlaubt uns nicht, die besten Stunden und Vormittage der Kunst zu geben, und wenn diese Kunst selber die größte und würdigste wäre. Sie gilt uns als Sache der Muße, der Erholung: wir weihen ihr die Reste unserer Zeit, unserer Kräfte. — Dies ist die allgemeinste Tatsache, durch welche die Stellung der Kunst zum Leben verändert ist: sie hat, wenn sie ihre großen Zeit- und Kraft-Ansprüche an die Kunst-Empfangenden macht, das Gewissen der Arbeitsamen und Tüchtigen gegen sich, sie ist auf die Gewissenlosen und Lässigen angewiesen, welche aber, ihrer Natur nach, gerade der großen Kunst nicht zugetan sind und ihre Ansprüche als Anmaßungen empfinden. Es dürfte deshalb mit ihr zu Ende sein, weil ihr die Luft und der freie Atem fehlt: oder — die große Kunst versucht, in einer Art Vergröberung und Verkleidung, in jener anderen Luft heimisch zu werden (mindestens es in ihr auszuhalten), die eigentlich nur für die kleine Kunst, für die Kunst der Erholung, der ergötzlichen Zerstreuung das natürliche Element ist.

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