Justiz   ::   Дюрренматт Фридрих

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Zwar begriff er endlich die Lage, als der Pianist eingesetzt hatte, aber nun wagte er nicht, Brahms zu unterbrechen, sein Respekt vor der Kultur war zu groß, er fühlte schmerzlich, daß er hätte eingreifen müssen, und nun war es zu spät, und so blieb er bis zur Pause. Dann handelte er. Er drängte sich durch die Menge, die neugierig den Kantonsrat umringte, lief zu den Telefonkabinen, mußte zurückkehren, um von einer Garderobenfrau Kleingeld zu bekommen, rief die Polizeikaserne an, erreichte Herren, ein Großaufgebot sauste herbei. Kohler dagegen spielte den Ahnungslosen, spendierte an der Bar der Witwe Champagner, hatte auch das unverschämte Glück, daß der zweite Teil des Konzerts wenige Augenblicke vor Eintreffen der Polizei begann. So mußte denn Jämmerlin mit Herren vor verschlossenen Türen warten, drinnen wurde Bruckners Siebente gegeben, endlos. Der Staatsanwalt stampfte aufgeregt hin und her, mußte einige Male von Platzanweiserinnen zur Ruhe gemahnt werden, wurde überhaupt wie ein Barbar behandelt. Er verwünschte die ganze Romantik, verfluchte Bruckner, man war immer noch erst beim Adagio, und als endlich nach dem vierten Satz der Beifall einsetzte — auch er wollte kein Ende nehmen — und als das Publikum durch das Spalier der aufgerückten Polizisten ins Freie strömte, kam Dr.h.c. Isaak Kohler erst recht nicht. Er war verschwunden. Der Kommandant hatte ihn durch den Künstlereingang in seinen Wagen gebeten und war mit ihm in die Polizeikaserne gefahren.

Mögliches Gespräch 2: In der Polizeikaserne brachte der Kommandant den Dr.h.c. in sein Büro. Sie hatten miteinander während der Fahrt kein Wort gesprochen, nun ging der Kommandant voran den leeren, schlecht beleuchteten Korridor entlang. Im Büro wies er schweigend auf einen der bequemen Ledersessel, verriegelte die Türe, zog den Rock aus.

«Mach's dir gemütlich«, sagte er.

«Danke, ich bin schon gemütlich«, antwortete der Kantonsrat, der sich gesetzt hatte.

Der Kommandant stellte zwei Gläser auf den Tisch zwischen den beiden Sesseln, holte eine Rotweinflasche aus dem Schrank,»Winters Chambertin«, erklärte er und schenkte ein, setzte sich auch, starrte eine Weile vor sich hin, begann sich dann sorgfältig mit dem Taschentuch den Schweiß von der Stirn und vom Nacken zu wischen.

«Lieber Isaak«, begann er endlich,»sage mir um Himmels willen, warum du diesen alten Esel niedergeschossen hast.»

«Du meinst — «, antwortete der Kantonsrat etwas zögernd.

«Bist du dir überhaupt im klaren, was du getan hast?«unterbrach ihn der Kommandant.

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