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Ein Schauspieler läuft herum wie ein König Lear, derseinen Text vergessen hat, und ist untröstlich:»Das Theater ist am Ende. Es gibt keine neuen Stücke. «Einen anderen Schauspieler habe ich so oft im Fernsehen gesehen, daß ich mir einbilde, er sei ein alter Bekannter, und er ist bestürzt, weil wir uns zum ersten Mal begegnen. Eine Frau schiebt einen Greis im Rollstuhl herein. Elegant, überlegen, schön. Um die Fünfzig. Ich kenne sie, aber weiß ihren Namen nicht. Sie begrüßt mich reserviert, duzt mich und nennt mich Max. Sie hat mich verwechselt. Gelächter. Sie entschuldigt sich. Ich fühle mich geehrt. Sie siezt mich wieder. Wer der Greis sei? Ihr Vater. Er muß uralt sein. Bald hundert. Zart und zerbrechlich. Ungemein lebendig. Rosige Haut. Dünnes weißes Haar, gestutzter Schnurrbart, gepflegter Bart, halb Voll-, halb Spitzbart. Er habe mit dem bayerischen Ministerpräsidenten konferiert. Über Politik? Über eine Stiftung effektiver Wissenschaft. Verstehe nicht. Es gebe heute zuviel unnütze Wissenschaft. Verstehe. Sie denkt immer noch, ich kenne sie, und ich kenne sie nicht. Die Gastgeberin unterhält sich mit dem Greis. Plaudert mit ihm. Lacht viel. Der Greis muß witzig sein. Sitze zwischen der unbekannten Bekannten und der deutschen Witwe eines italienischen Verlegers, den ich einmal einen Tag lang in Mailand kennengelernt habe. Die Bekannte, auf deren Namen ich nicht komme, hat bemerkt, daß ich nicht weiß, wer sie ist. Sie ist verstummt. Die Witwe erzählt mir von einer Schauspielerin, in die ich einmal verliebt war. Die sei mit einem Feuerwehrmann durchgebrannt. Nach dem Essen in den Salon. Die Film- und Theatermenschen scharen sich um den Intendanten. Sie interessieren sich für die Kunst. Die anderen um den Greis im Rollstuhl. Sie interessieren sich für die Wirklichkeit. Ein Kunstkritiker hält mit einer kurzen Dankesrede an die Gastgeberin einige Minuten lang die beiden Sphären zusammen. Er versteht zuviel von der Kunst, um die Wirklichkeit nicht zu unterschätzen, und zuviel von der Wirklichkeit, um die Kunst nicht zu überschätzen. Dann fallen die beiden Sphären wieder auseinander. Die einen diskutieren über Botho Strauss, die andern über Franz Josef Strauß. Was der Greis von diesem halte. Historiker, kein Meteorologe. Was er damit sagen wolle? Der Historiker komme mit langfristigen Aussagen. Er sei Metaphysiker. Bilde sich ein, den Weltgeist im Griff zu haben. Der Meteorologe wage nur kurzfristige Aussagen. Er sei Wissenschaftler. Bilde sich nicht ein, eine Gashülle im Griff zu haben. Die Welt sei undurchschaubar. Was politisch möglich sei? Schnelle chirurgische Eingriffe und dann die zufällige Wirkung beobachten.
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