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Eben haben Sie mich ordnungshalber in der Leichenhalle besichtigt, in Ihrem hellen Regenmantel, den Hut höflicherweise in der Hand und die Miene amtlich düster, der Selbstmord ist sauber durchgeführt, das müssen Sie zugeben, aber auch bei Kohler habe ich kunstgerechte Arbeit geleistet, es sieht sehr feierlich aus, wir beide so nebeneinander. Doch zurück nun aus Ihrer Gegenwart, die für mich in der Zukunft liegt, in meine für Sie vergangene Gegenwart. So überschneiden sich die Zeiten. Kapiert? Glaube nicht. Höchstens verärgert. Ich habe mich sorgfältig vorbereitet.
Erstens historisch, architektonisch, philosophisch: Fürs Innenleben. Wichtiges verlangt einen genauen Rahmen. Auch in geschichtlicher Hinsicht. So habe ich mich denn über die Kohlersche Villa genau informiert. Ich forschte sogar in der Zentralbibliothek nach. Das Gebäude stellte sich als die ehemalige Residenz Nikodemus Molchs heraus. Nikodemus Molch, Denker des anbrechenden zwanzigsten Jahrhunderts, mosesbärtiger Europäer Ungewissen Herkommens und Ungewisser Nationalität (nach den einen der legitime Sohn Alexanders des Dritten mit einer australischen Sängerin, nach den anderen eigentlich der wegen Unzucht mit Kindern vorbestrafte Sekundarlehrer Jakob Häger aus Burgdorf), betrieb eine von reichen Witwen und schöngeistigen Obersten finanzierte freie Akademie, korrespondierte mit dem alten Tolstoi, dem mittleren Rabindranath Tagore und dem jungen Klages, plante eine kosmische Erneuerungsbewegung, proklamierte eine vegetarische Weltregierung, deren Erlaß leider niemand befolgte (der Erste Weltkrieg, Hitler — obgleich Vegetarier —, der Zweite Weltkrieg, überhaupt das ganze nachfolgende Schlamassel wäre vermieden worden!), gab Zeitschriften heraus, teils okkultischen, teils edelpornographischen Inhalts, schrieb Mysterienspiele, trat später zum Buddhismus über, um noch später, schon steckbrieflich gesucht, in unzählige Bankrotte und Vaterschaftsklagen verwickelt, als Sekretär des Dalai-Lama zu enden, angeblich, denn einige unserer Mitbürger, Mitglieder einer Filmequipe, wollten ihn in den dreißiger Jahren in Schanghai in einem Barpianisten wiedererkannt haben.
Die Lage der Villa: Für einen aus unbemittelten, oder besser, aus gar keinen Verhältnissen stammenden Rechtsanwalt, der sich eben entschlossen hatte, den Salto mortale (Zitat Friedli) ins angenehmere Leben zu wagen, erwies sich der Weg von Lienhards Porsche zur Haustüre des Dr.h.c. Isaak Kohler animierend, er führte durch einen Park. Schon die Natur atmete Reichtum. Die Flora ließ sich nicht lumpen. Die Bäume durchwegs majestätisch, noch sommerlich.
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