Justiz   ::   Дюрренматт Фридрих

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Er war individuell. Jeder Tote hatte sein eigenes Grab, Grabsteine, schmiedeeiserne Kreuze, Sockel, Säulen, sogar ein Engel war zu sehen. Auf dem Grab von einem Christeli Moser. Aber der Friedhof von Flötigen war ein moderner Friedhof, ein vom Gemeinderat von Flötigen vor zehn Jahren beschlossener Friedhof. Was vor zehn Jahren gestorben war, war nicht mehr vorhanden. Da der Friedhof begrenzt war und nicht mehr erweitert werden konnte — die Bodenpreise waren zu hoch —, wurde nur zehnjähriges Liegen in der Heimaterde gestattet. Dann ab in die Ewigkeit. Doch in diesen zehn Jahren mußte man strammliegen. Jedem sein gleiches Grab. Seine gleichen Blumen. Sein gleicher Grabstein. Mit der gleichen Schrift beschriftet. So lagen die Toten in Reih und Glied, sogar der, den ich suchte. Unordentlich im Leben, ordentlich als Leiche. Der letzte neben einem noch leeren Grab. Der Grabstein und die Blumen (Astern, Chrysanthemen) waren schon gesetzt. Auf dem Grabstein:



FELIX SPÄT, FÜRSPRECHER, 1930–1984.



Zu Hause las ich noch einmal das Manuskript durch. Es mußte vom Urmanuskript abgetippt worden sein. Trotz der Dichtereien, die durch den Kommandanten hineingeraten sein mochten, war es am authentischsten. Was Späts Erzählung betrifft, rühmte er sich in Stüssikofen eines Mordes, den er nicht begangen hatte, und Kohler unterschob in München seinen Mord jenem, den er mit dem Ermordeten beseitigen wollte. Ich ließ das Manuskript fotokopieren. Die Adresse des Dr.h.c. Isaak Kohler fand ich im Telefonbuch. Ich schickte ihm die Kopie. Einige Tage später erhielt ich einen Brief von Hélène Kohler. Sie bat mich, sie zu besuchen. Der Zustand ihres Vaters lasse ihre Abwesenheit nicht zu. Ich telefonierte. Anderntags betrat ich den Kohlerschen Besitz.

Es war, als träte ich ins Manuskript ein, als kommentiere es mich, als ich vom schmiedeeisernen Gartenportal der Villa entgegenging. Die Natur atmete Reichtum. Die Oktoberflora ließ sich nicht lumpen. Die Bäume durchweg majestatisch. Noch fast sommerlich. Kein Föhn. Kunstvoll zugeschnittene Hecken und Büsche. Bemooste Statuen. Nackte bärtige Götter mit jugendlichen Hintern und Waden. Stille Teiche. Ein gravitätisches Pfauenpaar. Alles totenstill und versponnen. Nur einige Vögel waren zu vernehmen. Das Haus von wildem Wein, Efeu und Rosen umrankt, vergiebelt, groß und geräumig. Innen bequem und leicht. Antike Möbel, kostbare Stücke. An den Wänden berühmte Impressionisten. Später alte Holländer (ein uraltes Dienstmädchen führte mich). Im Arbeitszimmer Dr.h.c. Isaak Kohlers hatte ich zu warten. Der Raum war geräumig. Von der Sonne vergoldet.

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